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EISENBAHNGESCHICHTE

Halb Bus, halb Bahn: Wie der Schi-Stra-Bus die Passagiere ans Ziel brachte

Der Landkreis Altenkirchen gehört seit 1816 zum Regierungsbezirk Koblenz. Den Bürgern dieses nordöstlichen Kreises sollten Behördenbesuche in Koblenz ermöglicht werden. Dafür richtete die damalige Bundesbahn ab 5. Oktober 1947 ein umsteigefreies Eilzugpaar von Betzdorf nach Koblenz ein, das über Altenkirchen, Siershahn und Engers fuhr – inklusive Kopfmachen in Neuwied.

In weniger als 3 Stunden erreichte der Frühzug um 9.19 Uhr die damalige rheinland-pfälzische Landeshauptstadt Koblenz. Ab dem 28. September 1958 wurde ein zweites, umsteigefreies Zugpaar durch den Unterwesterwald von Siegen nach Koblenz angeboten. Die zu lange Fahrzeit führte jedoch am 30. Mai 1969 zur Einstellung der durchgehenden Züge. Rund 6 Stunden Fahrzeit hin und zurück wurden unattraktiv. Der Grund dafür war die Motorisierung weiter Bevölkerungsschichten und der damit aufkommende Ausbau des Straßennetzes. Die Fahrgastzahlen sanken, das Zugangebot wurde ausgedünnt und am 3. Juni 1984 wurde der Personenverkehr auf der Holzbachtalbahn zwischen Siershahn und Altenkirchen (Westerwald) eingestellt. Auf der Brexbachtalbahn zwischen Siershahn und Engers fuhren die Schienenbusse nur 5 Jahre länger bis zum 28. Mai 1989.

Die Fahrt von Altenkirchen oder Betzdorf mit Eil- oder Schnellzügen durch das Siegtal nach Koblenz war deutlich schneller. Und das trotz Umstieg in Troisdorf und der Weiterfahrt auf der rechtsrheinischen Strecke. Das hat sich auch mit der beschleunigten Regio-Buslinie 101/120 zwischen Neuwied, Horhausen und Altenkirchen bis heute nicht verändert.

Die eingesetzten Direktzüge verloren viel Zeit, weil sie auf dem weit nach Osten ausschweifenden Streckenverlauf zwischen Diersdorf, Siershahn und Engers verkehrten. Als Ergänzung zu diesen Zügen nutzte die Bundesbahn vom 4. Oktober 1954 bis 27. Mai 1967 die geradlinig von Dierdorf nach Koblenz führende B413 zu einer Fahrzeitverkürzung der Verbindung zwischen Betzdorf und Koblenz. Die Fahrgäste sollten aber in Dierdorf nicht in einen Bus umsteigen, sondern weiterhin umsteigefrei in nur einem Fahrzeug reisen.

Dazu setzte die Bundesbahn einen besonderen Schienenbus ein, der auch auf der Straße fahren konnte. Dieses mit Eisen- und Gummirädern ausgestattete Zweiwegefahrzeug – kurz Schi-Stra-Bus genannt – wurde speziell für ländliche Mittelgebirgsregionen konzipiert, deren Bahnstrecken durch topographisch bedingte Umwege nicht mehr rentabel mit Zügen allein betrieben werden konnten.
 
Die Planungen des 11,3 m langen sowie 2,5 m breiten und 2,9 m hohen Schi-Stra-Busses gehen auf das Jahr 1951 zurück. Er wurde von den Nordwestdeutschen Fahrzeugwerken (NWF) entwickelt und von der Firma Maschinenbau Donauwörth gebaut. 1953 wurden dann die ersten drei Prototypen auf der Verkehrsmesse  in Frankfurt am Main vorgestellt. Die Bundesbahn bestellte daraufhin 50 Fahrzeuge (nach anderen Quellen 52), von denen aber nur 10 bis 15 Stück mit kompletter Ausstattung als Schienenstraßenbusse zum Einsatz kamen. Die anderen Fahrzeuge wurden nur als reiner Straßenbus verwendet.

Der Fahrzeugkasten bestand aus geschweißten Stahl- und Leichtmetallprofilen. Im Gegensatz zu reinen Straßenomnibussen hatten die Schienenstraßenbusse auf jeder Fahrzeugseite zwei Türen, um Bahnsteige auf beiden Fahrzeugseiten bedienen zu können. Alle Türen waren mit automatischen Klapptritten zum Ausgleich unterschiedlicher Einstiegshöhen ausgestattet. Im Straßenbetrieb konnten die in Fahrtrichtung links liegenden Türen verriegelt werden. Reisegepäck konnte in zwei Kofferräumen unter dem Fahrzeugboden verstaut werden, wo auch ein Ersatzrad Platz fand. Der 6-Zylinder-Dieselmotor von Klöckner-Humboldt-Deutz fasste 8 Liter Hubraum und hatte eine Leistung von 88 kW (ca. 120 PS). Damit war theoretisch eine Höchstgeschwindigkeit von 120 km/h auf der Schiene möglich. Allerdings wurde diese Geschwindigkeit nirgendwo erreicht, da die Strecken im besten Fall eine Geschwindigkeit von 80 km/h erlaubten.

Detailansichten. Foto links: Oliver Pelst, rechts: Michael Baier

Auf der Schiene fuhr der Schi-Stra-Bus mit einem vorne und hinten anmontierten Spurwagen und hochgebockten Vordergummirädern. Zur Vermeidung des Kopfmachens konnte der Spurwagen an beiden Fahrzeugenden angebracht werden. Dementsprechend gab es auch zwei Führerstände und die Lehnen der Sitzbänke waren mittels Rollbügeln umklappbar. So konnten alle Fahrgäste immer in Fahrtrichtung sitzen.

Der Antrieb auf Schienenstrecken erfolgte über die Bus-Hinterachse und gebremst wurde mit den Spurwagen. Der Omnibus-Wagenkasten hatte an der Vorderseite und am Heck Quertraversen mit Kugel- und Abstützpfannen für die Verbindung mit den Spurwagen. Hydraulische Hebevorrichtungen sorgten hier für das Auf- und Abbocken. Die vordere bzw. hintere Fahrzeughälfte wurde damit zum Ein- oder Ausbau der Spurwagen angehoben. Zum Umsetzen auf die Straße wurden die Spurwagen mittels Hydraulik abmontiert – und zwar in einem bis zur Schienenoberkante aufgefüllten, eingeebnetem Gleis. Ein zweiter Rückwärtsgang des Getriebes ermöglichte schnelles Rangieren mit bis zu 40 km/h. Die eingebaute Bremsanlage besaß Einstellungen für Schienen- oder Straßenbetrieb. Gegenüber reinen Straßenbussen war der Druckluftbedarf deutlich höher. Deshalb wurden vier zusätzliche Luftbehälter eingesetzt, die je 40 Liter fassten. Für den Einsatz auf den Gleisen wurden eine Sicherheitsfahrschaltung und eine Notbremse eingebaut.

Zu seinem ersten Einsatz im Regelbetrieb kam der Schi-Stra-Bus ab 8. Juni 1953 im Bayerischen Wald zwischen Cham und Passau (über Bodenmais und Grafenau). Zum Sommerfahrplan 1954 folgte im Allgäu die Verbindung Augsburg - Pforzen (Straße) - Rosshaupten (Schiene) - Füssen (Straße). Mit dem Einsatz im Unterwesterwald folgte im Herbst 1954 zeitgleich die Hocheifelverbindung Remagen-Adenau (Schiene) - Daun (Straße) - Bernkastel-Kues (Schiene) vom Rhein zur Mosel. Die fünfte und letzte Verbindung diente im Südschwarzwald zwischen Waldshut und Immendingen als Schienenersatzverkehr vom Hochrhein zur Donau. Der Schi-Stra-Bus wurde dort während einer Tunnelsanierung an der „Sauschwänzlebahn“ zwischen Weizen und Zollhaus-Blumberg im Sommerfahrplan 1955 eingesetzt. Aber bereits zwischen 1955 und 1958 wurden die anderen drei Linien wieder eingestellt. Grund dafür waren vor allem technische Probleme in den damals noch schneereichen Wintern – bei Nässe und Glätte hatte das Fahrzeug im Schienenbetrieb Traktionsprobleme.
 
Insgesamt waren drei Schi-Stra-Busse im Westerwald im Einsatz. Sie wurden 1962 als einzig verbliebene Schi-Stra-Busse noch einmal im Betriebswerk München-Freimann aufgearbeitet. Zwischen Betzdorf und Koblenz hielt sich der Schi-Stra-Bus noch bis zum 27. Mai 1967. In diesen 12,5 Jahren wurden etwa 1,6 Mio. km gefahren und 1,5 Mio. Fahrgäste transportiert. Die Schi-Stra-Busse verkehrten auch als „Eilzüge“ werktäglich zweimal in der Hauptverkehrszeit morgens und abends zwischen Betzdorf und Koblenz. Die Westerwälder fuhren gerne in ihren Schi-Stra-Bussen und bei vielen Fahrten reichten die 43 Sitzplätze nicht aus. Es soll vorgekommen sein, dass Fahrgäste am Bahnsteig zurückbleiben mussten. Dann quetschten sich statt der zugelassenen 15 bis zu 24 Personen auf den Stehplätzen. Von Dierdorf aus ging die Busfahrt auf der Straße über Kleinmaischeid durch das Sayntal an Isenburg vorbei nach Bendorf und weiter durch Ehrenbreitstein zum Koblenzer Bahnhofsvorplatz. Durch die Nutzung der Straße konnte die Verbindung um 26 km gegenüber der 112 km langen Schienenstrecke verkürzt werden (56 km Schiene und 30 km Straße). Die Fahrzeitersparnis gegenüber den Zügen betrug rund eine halbe Stunde.

Bei den Fahrten im Winter 1954/55 wechselten sich ein Triebfahrzeugführer und ein Omnibusfahrer ab. Wer nicht fuhr, betätigte sich als Schaffner. Zur Personaleinsparung wurden bald die Kraftfahrer zu Triebfahrzeugführern ausgebildet, die schließlich die Fahrten alleine durchführten.

Schon bei den ersten Fahrten stellte sich heraus, dass die angetriebenen Gummireifen auf den Schienen nicht genügend Haftung hatten. Laubfall und feuchte Witterung erzeugten vor allem auf der steigungsreichen Strecke aus dem Bahnhof Au (Sieg) in Richtung Breitscheidt hohe Reibungsverluste und verringerten die Beschleunigung. In der Werkstatt des Bahnbetriebswerkes Betzdorf konzipierte man daher für den vorderen der beiden Rollwagen eine Sandstreuvorrichtung mit einem entsprechenden Vorratsbehälter, der im Bedarfsfall die Haftfähigkeit auf der Schiene erhöhte. Damit die Sandstreueinrichtung immer vorne war, mussten die Fahrzeuge gewendet werden. In Betzdorf konnte dafür eine vorhandene Drehscheibe genutzt werden. In Dierdorf musste eine solche nachträglich gebaut werden.

Der aufwendige Betrieb rief nach 12 Jahren letztendlich Verschleißerscheinungen hervor, die bei der Wartung im Bahnbetriebswerk Betzdorf nicht mehr repariert werden konnten. Die Herstellerfirma war bereits 1955 in Konkurs gegangen und so wurde der Betrieb aus fahrzeugtechnischen Gründen ab 28. Mai 1967 mit Beginn des Sommerfahrplans eingestellt, obwohl die Verbindung im Kursbuch für den Sommer 1967 noch enthalten war.

Foto unten: DB 29-1 am 27. Mai 1967 im Bahnhof Betzdorf, festlich geschmückt vor der letzten Fahrt.

Lediglich ein Schi-Stra-Bus (der DB 29-3) wurde mit zwei Spurwagen vor dem Schneidbrenner gerettet und von der Deutschen Gesellschaft für Eisenbahn-Geschichte (DGEG) im Museum in Bochum-Dahlhausen aufbewahrt. Die beiden anderen – auch der DB 29-1 auf dem Foto von der Abschiedsfahrt – wurden leider verschrottet.

Der DB 29-3 wurde 1985 zum Jubiläum „150 Jahre Eisenbahnen in Deutschland“ betriebsfähig aufgearbeitet und auf einer Fahrzeugparade in Nürnberg vorgeführt. Zum Bahnhofsfest am 24. und 25. Mai 1986 kehrte er auch in seine frühere Heimat Betzdorf zurück.
 
Ende 2001 wurde für das Fest zur Eröffnung der Neubaustrecke Köln - Rhein-Main eine erneute Aufarbeitung des einzig erhaltenen Schi-Stra-Busses vorgenommen. Die Hauptuntersuchung wurde am 24. Juli 2002 abgeschlossen und eine befristete Straßenzulassung ermöglichte den einmaligen Einsatz auf der Unterwesterwaldbahn und auf der Straße nahe dem ICE-Bahnhof in Montabaur.
 
Vom 26. bis 28. Juli 2002 pendelte der DB 29-3 mehrmals täglich zwischen Montabaur und Siershahn. Dabei wurden die Fahrten abwechselnd über die Schiene und die Straße durchgeführt. Spektakulär war die Nutzung eines kurzen Abschnittes der Autobahn A3 zwischen Mogendorf und Montabaur, wo das rote Unikum Aufsehen erregte. Abends wurde der Schi-Stra-Bus dann auf dem Firmengelände einer Spedition in Montabaur abgestellt. Im August 2002 absolvierte das Fahrzeug noch eine Fahrt nach Limburg (Lahn) und wurde danach wieder nach Bochum-Dahlhausen transportiert. In den letzten Jahren verhinderten verschärfte Schienennetz-Zugangsbedingungen (PZB, Funk) weitere Sonderfahrten. Im DGEG-Museum ist der DB 29-3 aber nach wie vor öffentlich ausgestellt.

 

Literatur und Quellen

Arbeitskreis Stadtbuch: Dierdorf … ziemlich vorn im Westerwald: 1357 – 2007: 650 Jahre Stadt; Druck: Mohrmedien GmbH, Rengsdorf; Herausgeber: Stadt Dierdorf April 2007

Stoffels, Wolfgang: Die Schienen-Straßen Omnibusse der Deutschen Bundesbahn; Folge 24 der DGEG-Publikationen, 1. Auflage 1979

Strack, Klaus: Von der Sieg zum Rhein – Die „Schienen-Straßen-Bus Linie“ Koblenz-Betzdorf, S. 200-202 in Strack, Klaus: 150 Jahre Eisenbahn im Siegtal; Martina Galunder Verlag, Nümbrecht 2010

Wenzel, Hansjürgen & Merzhäuser, Willi: Eisenbahnen im Westerwald; Eisenbahn-Kurier Verlag, Freiburg 1996

Mündliche Mitteilungen von Herrn Bruno Georg, Betzdorf

Internetseite „Die Westerwälder Bahnen“