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EISENBAHNGESCHICHTE

Das Rheintrajekt: Als Züge ohne Brücken übers Wasser fuhren

Vor 150 Jahren konnten Fahrgäste mit der Eisenbahn direkt von Neuwied nach Bonn fahren – ohne Umweg über Koblenz oder Köln und auch ohne in Beuel oder anderswo umsteigen zu müssen. Damals überquerten die Züge den Rhein zwischen Oberkassel und Bonn mit einem sogenannten Trajekt, einer Fähre mit eingebautem Gleis.

Das Rheintrajekt zwischen Oberkassel und Bonn.

Die verschifften Personenzüge bestanden aus maximal vier Personen- und zwei Gepäckwagen. Wegen ihres hohen Gewichts blieben die Loks zumeist auf den Uferseiten stehen und wurden nur zum Heraufschieben oder Herunterziehen der Wagen eingesetzt. Wenn die Loks ausnahmsweise den Fluss überquerten, erfolgte dies immer getrennt vom Zug. Die 70 Meter langen und 9,5 Meter breiten Fährboote hatten eine Tragfähigkeit von 200 Tonnen und wurden von Dampfmaschinen mit 42 PS betrieben. Die Fähren wurden an Seilen geführt, die am Flussgrund lagen. Die reine Fahrzeit der Fähre betrug durch diese gesicherte Führung nur fünf Minuten. Zur Be- und Entladung wurden jeweils 15 bis 20 Minuten benötigt.

Damit die Lokomotive beim Aufschieben der überzusetzenden Reisezugwagen auf die Fähre nicht zu tief ins Wasser geriet, wurden zwei Zwischen- oder Übergangswagen zwischen Lok und Reisezugwagen eingeschaltet. Wenn die Reisezugwagen ihre Position auf der Fähre erreicht hatten, wurden sie befestigt und die Zwischen- oder Übergangswagen abgekuppelt, die dann mit der Lok wieder in den Trajektbahnhof zurückgezogen wurden.

Bild oben: Am linken Rand ist das Seil erkennbar, an dem das Trajekt über das Wasser gezogen wurde.

Bild unten: Kleine Tenderlokomotiven der Reihe T4.2 (Achsfolge B1) zogen den Wagenzug mit Hilfe von Zwischenwagen auf die Rampe – hier auf die Bonner Seite. Gut zu erkennen ist die Maschinenanlage der Fähre mit ihren Seilscheiben. Rechts und links tauchen die zur Sicherung der Fähre am Ufer verankerten Seile aus dem Wasser auf.

Aber wie kam es überhaupt dazu? Mitte des 19. Jahrhunderts bildeten breite Flüsse wie der Rhein schwer überwindbare Hindernisse für Eisenbahnen. Der Brückenbau mit langen Spannweiten war damals noch unterentwickelt. War der Bau fester Brücken technisch nicht möglich (oder zu kostspielig), baute man daher an beiden Ufern Gleise bis ans Wasser, um Eisenbahnwagen mit einer Trajektfähre überzusetzen. Zwischen 1852 und 1870 wurden daher entlang des Rheins zehn Trajekte erbaut, von denen fünf aber nicht länger als zehn Jahre in Betrieb waren.  

Eisenbahnwagen umzuladen war sehr mühsam. Viele Trajekte dienten daher nur dem Güterverkehr. Eins der wenigen Trajekte für Personenwagen war das zwischen Oberkassel und Bonn. Es wurde am 11. Juli 1870 gemeinsam mit der rechtsrheinischen Strecke von Neuwied aus eröffnet. Die Rheinische Eisenbahn – bis zu ihrer Eingliederung in die Preußische Staatsbahn 1880 Eigentümerin – erhielt die Konzession zum Streckenbau nur unter der Voraussetzung, Bonn mit einem Trajekt anzubinden. Das Rheintrajekt war von allen am zweitlängsten in Betrieb. Seine letzte Fahrt erfolgte mit Beginn des Ersten Weltkrieges am 2. August 1914. Anschließend wurden die Fahrten  erst vorübergehend, am 1. September 1919 dann endgültig eingestellt.

Die topographische Karte von 1898 verdeutlicht die Lage und den Verlauf der Bonner Trajektfähre.

Damals bog die Strecke nordwestlich des Bahnhofs Oberkassel nahe Ramersdorf von der heutigen Linienführung nach Bonn-Beuel ab und führte zum Rheinufer. Dort wurden die Wagen auf den Trajektfähren ans linke Rheinufer verschifft und zu einem Trajektbahnhof gefahren, zu dessen Bau man auf einer Länge von 400 Metern Erde aufschüttete. Von dort zog eine zweite Lok die Personen- und Güterzüge durch einen bis zu zehn Meter tiefen Einschnitt zur Blockstelle Kessenich und dann parallel zur linksrheinischen Strecke auf einem dritten Gleis nach Bonn. 1880 erhielt die Trajektbahn dort auf der Südseite ein eigenes Bahnsteiggleis auf dem Gelände des alten Bonner Empfangsgebäudes.

Die Strecke vom Bahnhof Bonn bis zum Trajektbahnhof war 3,5 Kilometer lang und von dort noch einmal weitere 2,4 Kilometer lang bis Oberkassel. Je nach Wasserstand ist der Rhein hier 350 bis 380 Meter breit. Die Trajektfähre legte beim Überqueren schräg zur Strömung also 520 bis 560 Meter auf dem Fluss zurück. Nach den ersten Fahrplänen wurden in beiden Richtungen täglich jeweils fünf oder sechs Züge übergesetzt. Im Sommer 1880 waren es sieben Zugpaare. Für den Betrieb, bei dem der Güterverkehr umfangreicher war, wurden anfangs zwei, später drei eingleisige Fähren mit den Namen „Agger“, „Sieg“ und „Wupper“ in Dienst gestellt, die an den Ufern drei Gleise (das dritte Gleis erst seit 9. März 1873) ansteuern konnten.

Um 1880 dauerte die Fahrt mit einem an allen damaligen Zwischenstationen (Leutesdorf, Hönningen, Linz, Erpel, Unkel, Honnef, Rhöndorf, Königswinter und Nieder-Dollendorf) haltenden Nahverkehrszug von Neuwied nach Bonn rund 1 ¾ Stunden, mit dem Schnellzug eine halbe Stunde weniger. Als im Frühjahr/Sommer 1871 die damals noch eingleisige rechtsrheinische Strecke von Oberkassel bis Troisdorf verlängert wurde und damit über die Deutz-Gießener Eisenbahn die Züge rechtsrheinisch bis Köln und 1873 weiter ins Ruhrgebiet durchfahren konnten, wurden die von Neuwied kommenden Züge in Oberkassel geteilt. Die Lok mit dem ersten Zugteil fuhr umgehend weiter nach Köln-Deutz. Die anderen Wagen blieben kurz stehen, bis sie von einer zweiten Lok auf die Trajektfähre geschoben wurden.

Mit der rechtsrheinischen Streckenverlängerung verlor das Trajekt immer mehr an Bedeutung. Der Personenverkehr nahm in der Gründerzeit stark zu, aber 1905 waren es immer noch nur sieben Zugpaare täglich. Dies blieb auch bis zum letzten Betriebsjahr 1914 so. Bereits 1911 wurde die Stilllegung in Erwägung gezogen. In diesem Jahr wurde als Konkurrenz die Kleinbahn Bonn-Königswinter über die Beueler Rheinbrücke (1898 erbaut, seit 1902 mit Straßenbahn) eröffnet. Im Kursbuch wurde der Trajektverkehr zwischen 1905 und 1908 aus der Tabelle 138 Frankfurt – Niederlahnstein – Köln ausgegliedert und in ein schwer auffindbares Kästchen am Rande einer Seite abgedrängt. Im Fernverkehr wurden keine Fahrkarten mehr über die Trajektstrecke ausgegeben. 1913 verkaufte man pro Fahrt durchschnittlich nur noch 2,4 Fahrkarten. Die meisten Züge hielten ohne Zugtrennung in Oberkassel oder fuhren als Schnellzüge durch. Der Bahnhof Oberkassel war zunehmend unwichtiger und wurde zu einer normalen Vorortstation, nachdem das Trajekt stillgelegt war.

Planskizzen von der Trajektfähre

Die Kapazität der Fähren war mit je 120 Wagen pro Tag gering. Die Fähren zweier Trajekte am Niederrhein waren größer und konnten täglich 180 Wagen übersetzen. Sie wurden später durch Brücken ersetzt, was in Bonn nie ernsthaft in Erwägung gezogen wurde. Auf der Bonner Seite wurde das Gleisnetz zunächst wegen des starken Güterverkehrs ausgebaut. Um den Trajektbahnhof hatten sich in den damals noch unbebauten Rheinauen mehrere kleinere Industrie- und Gewerbebetriebe angesiedelt, die mit Anschlussgleisen angebunden wurden.

Nach 1919 blieben die Gleisanlagen noch lange bestehen. Sie wurden sogar noch nach dem Zweiten Weltkrieg für Sonderfahrten genutzt, beispielsweise zu Fußballspielen des Bonner SC, der in den 20er Jahren neben dem Trajektbahnhof sein Stadion baute. Der Abbau begann 1970 mit dem Abriss des Empfangsgebäudes, das lange als Wohnhaus diente. Danach wurden die Gleise zwischen Kessenich und dem Rhein abgebaut. In den Geländeeinschnitt wurde eine Straße gelegt. Um 1980 war praktisch alles verschwunden. Auch rechtsrheinisch ist von den früher ausgedehnten Gleisanlagen nichts mehr zu sehen. Der Blick von der 1973 erbauten Bonner Südbrücke, über die seit 1981 die Linie 66 – die Nachfolgerin der Kleinbahn nach Bad Honnef – fährt, zeigt, dass an der Stelle, wo das Trajekt rechtsrheinisch war, später eine kleine Schiffswerft errichtet wurde, die das Trajektgleis als Anschluss nutzte.

Bild oben: Werftanlage Oberkassel mit den verschiedenen Gleislagen im Zementwerk und im Bahnhof Oberkassel

Bild unten: Ansicht der Schiffswerft Oberkassel von der Südbrücke aus; genau hier befand sich die rechtsrheinische Abfahrtsstelle des Trajekts. Für die Bundesgartenschau 1979 wurde das Gelände, wie auch am gegenüberliegenden Ufer verändert.

Wer sich ausführlich mit dem Trajekt Bonn–Oberkassel beschäftigen möchte, findet weitere Informationen hier:

  • Kemp, Klaus: Ein abgeschlossenes Kapitel Bonner Verkehrsgeschichte: Das Trajekt Bonn – Oberkassel; erschienen in: Köln-Bonner Verkehrsmagazin 1/2015 Heft 38 Seite 60-72 (daraus stammen alle Abbildungen)
  • Scharf, Hans-Wolfgang: Eisenbahn-Rheinbrücken in Deutschland; Eisenbahn-Kurier Verlag, Freiburg 2003
  • Schlieper, Hans: Eisenbahntrajekte über Rhein und Bodensee; Alba Publikation Alf Teoeken Düsseldorf September 2009
  • Wenzel, Hansjürgen & Merzhäuser, Willi: Eisenbahnen im Westerwald; Eisenbahn-Kurier Verlag, Freiburg 1996